- Inschriftenkunde
- Ịn|schrif|ten|kun|de 〈f. 19; unz.〉 Lehre von den überlieferten Inschriften, Teil der Altertumswissenschaft; Sy Epigrafik
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Ịn|schrif|ten|kun|de, die <o. Pl.>:wissenschaftliche Disziplin der Altertumskunde, die sich mit der Erforschung alter Inschriften befasst; Epigrafik.* * *
Inschriftenkunde,Epigraphik, Wissenschaftszweig (Teil sowohl der Altertums- als auch der Geschichtswissenschaft), der sich der Sammlung, Erforschung und Edition der ganz oder fragmentarisch erhaltenen und abschriftlich, in Abzeichnung oder fotografisch überlieferten Inschriften (lateinisch »inscriptiones« oder »tituli«) widmet. Unter Inschrift versteht man dabei ein Schriftdenkmal, das im Gegensatz zu den üblichen Schriftträgern wie Papyrus, Wachs, Pergament und Papier in der Regel auf Stein, Knochen, Holz, Metall, Ton oder Glas in einer dem Material gemäßen Technik entweder durch Einritzen, Einhauen, Ziselieren, Gießen, Bemalen mit Farbe oder erhabene Herausarbeitung angebracht wurde. Beschriftet wurden v. a. Denkmäler, Tafeln, Weg- und Grabsteine, Gebäudeteile, Gefäße, Schmuckgegenstände, Waffen sowie Handwerks- und Haushaltsgerät.Die Erkenntnis, dass in der Frühzeit Textüberlieferungen vornehmlich mittels Inschriften erfolgten und dass jede Inschrift gegenüber den über mehrere Zwischenstufen tradierten Handschriften ein unmittelbares Zeugnis der Vergangenheit darstellt, hat frühzeitig Inschriftensammlungen, aber erst im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Inschriftenkunde entstehen lassen. Die ältesten epigraphischen Sammlungen sind für die griechisch-römische Antike nachweisbar. Der Athener Philochoros (* etwa 320, ✝ 260) legte wohl als Erster eine solche an. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Beschäftigung mit den Inschriften unter Polemon im 2. Jahrhundert v. Chr.; von da an werden sie auch bei antiken Schriftstellern zitiert. In der Spätantike und im Mittelalter konzentrierte sich das Interesse auf die lateinischen Inschriften Roms und der großen Städte Italiens, deren bedeutendste Sammlung vom Anonymos von Einsiedeln im 9. Jahrhundert besorgt wurde. Hinzu kamen Inschriftenzitate in lokalen und überregionalen chronikalischen Werken. In der Renaissance beschrieb der Humanist Cyriacus von Ancona (* 1391, ✝ 1452) in seinen »Commentarii« (6 Bände) zahlreiche Inschriften, G. F. Poggio Bracciolini und Johannes Smetius (* 1590, ✝ 1651) sammelten und kopierten Inschriften, um 1600 nahm Jan Gruter (* 1560, ✝ 1627) erstmals die Edition aller antiken Inschriften in einem »Corpus absolutissimum« (Heidelberg 1603) in Angriff. Der entscheidende Schritt in der Geschichte der Inschriftenkunde erfolgte 1815, als die Preußische Akademie der Wissenschaften dem klassischen Philologen A. Böckh die Sammlung aller dem griechisch-römischen Altertum angehörenden Inschriften genehmigte. Daraus entstand das »Corpus inscriptionum Graecarum« (CIG; 1825-59, 4 Bände; Indizes 1877), das zum größten Teil veraltet ist und seit 1873 durch die auf 15 Bände geplanten, nach Landschaften geordneten »Inscriptiones Graecae« (IG) ersetzt wird, die ebenfalls von der Preußischen, seit 1994 von der Berlin-Brandenburg. Akademie der Wissenschaften herausgegeben werden. Die bis heute noch nicht erreichte Vollständigkeit der IG, von denen seit 1913 eine Neubearbeitung (Editio altera, bisher 3 Bände in 12 Teilen) sowie seit 1981 eine 3. Ausgabe (bisher 1 Band in 3 Teilen) erscheint, regte eine kaum noch überschaubare Fülle von Spezialveröffentlichungen an. Kurz vor der Vollendung des CIG gab T. Mommsen die »Inscriptiones Regni Neapolitani Latinae« (1852) heraus und öffnete damit bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften den Weg zur Erfassung und kritischen Edition aller lateinischen Inschriften im »Corpus inscriptionum Latinarum« (CIL), das seit 1863 erschien. Die Sammlung und Veröffentlichung der griechischen und lateinischen Inschriften in den IG und im CIL war vorbildlich für die Publikation weiteren Inschriftenmaterials, u. a. der christlichen Inschriften in griechischer und lateinischer Sprache von der römischen Kaiserzeit bis ins Mittelalter, der semitischen Inschriften im »Corpus inscriptionum Semiticarum« (CIS, 1881-1951, 20 Bände), der hebräischen, ägyptischen, assyrischen, hethitischen, altiranischen und elamischen Inschriften, der Inschriften in kleinasiatischen Sprachen, der italienischen Dialektinschriften und der etruskischen, numidischen, libyschen, iberischen und altamerikanischen Inschriften. Die allgemeine Ausweitung des philologischen und historischen Horizonts führte zur Beschäftigung mit den indischen, chinesischen, mongolischen, alttürkischen und südostasiatischen Inschriften. Ein verhältnismäßig junger Zweig der Inschriftenkunde ist die mykenische Inschriftenkunde, da diese erst mit der Entzifferung der mykenischen Linear-B-Schrift in das eigentliche Stadium der wissenschaftlichen Bearbeitung getreten ist. Die epigraphische Forschung ist heute in allen Kulturbereichen tätig, in denen Inschriften erhalten sind. Das in den großen Inschriftenpublikationen gesammelte Material wird durch Neufunde laufend vermehrt und bedarf daher der Bekanntmachung in eigenen Zeitschriften.Während die antike Inschriftenkunde als Zweig der klassischen Altertumswissenschaft längst entwickelt war, hat die Erforschung der mittelalterlichen Inschriften erst spät begonnen. Lokale Inschriftensammlungen für den deutschen Sprachraum reichen in das Ende des 16. Jahrhunderts zurück. Die Sammlung »Die Deutschen Inschriften«, herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreich. Akademie der Wissenschaften in Wien, begann 1942 und umfasst bisher (1996) 42 Bände.Die mittelalterliche Inschriftenkunde behandelt die Zeit vom 7. bis 16. Jahrhundert. Die Verbreitung der mittelalterlichen Inschriften hängt von landschaftlichen Eigenheiten, der Besiedlung, wirtschaftlicher Lage u. a. Faktoren ab. Als ihre Auftraggeber erscheinen bis zum 12. Jahrhundert vornehmlich hohe Geistliche, seit dem 13. Jahrhundert auch der Adel, seit dem 14./15. Jahrhundert das Bürgertum und seit dem 17. Jahrhundert auch die bäuerliche Bevölkerung; die soziologischen Unterschiede zeigen sich teilweise in Sprache und Wahl der Schriftarten. Bis ins 15. Jahrhundert herrscht die lateinische Sprache vor, dann treten auch Nationalsprachen auf. Sachlich werden die Inschriften in solche an Bauwerken, auf Grab- und Flurdenkmälern, auf Glocken sowie auf Gegenständen aller Art (Bilder, Teppiche, Waffen, Kult- und Gebrauchsgegenstände) gegliedert; eine Sondergruppe bilden die rechtlichen Inschriften (z. B. Markt-, Judenprivilegien).Die frühen mittelalterlichen Inschriften lehnen sich in den Formen an die der Spätantike an. Die römische »Scriptura monumentalis« und die gefälligere »Scriptura rustica« werden mit kursiven und unzialen (runden) Elementen sowie von Fremdschriften (Nationalschriften) durchsetzt. Zu einheitlichen Formen kommt es im 8./9. Jahrhundert in Anlehnung an die klassische Zeit. Vom 11. Jahrhundert an zeigen die Buchstaben wieder größeren Formenreichtum, es treten Ligaturen, Enklaven und Verschränkungen auf; unziale Buchstabenformen bereiten auf die gotische Majuskel vor. In ihr, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts vorherrscht, wird der einzelne Buchstabe zum Kunstwerk, das sich gegen den Nachbarbuchstaben abschließt. Diese Schriftform wird ab der Mitte des 14. Jahrhunderts von der gotischen Minuskel verdrängt, die in der Form der Buchschrift (Textura) in die Inschriften übernommen wird. Seit Beginn des 16. Jahrhunderts lösen humanistische Kapitalis-Schriften die gotische Minuskel ab. Angeregt von Schreibmeisterbüchern und Typographie werden daneben Fraktur und humanistische Minuskel für Inschriften verwendet.Weitere Ausgaben:Corpus inscriptionum Etruscarum, hg. v. C. Pauli u. a. (1893 ff.);U. Lidzbarski: Hb. der nordsemit. Epigraphik, 2 Bde. (1898, Nachdr. 1962);A. I. Evans: Scripta Minoa, 2 Bde. (Oxford 1902-52);Die sumer. u. akkad. Königsinschriften, bearb. v. F. Thureau-Dangin (1907, Nachdr. Leipzig 1972);Die altägypt. Pyramidentexte, hg. v. K. Sethe, 4 Bde. (1908-22, Nachdr. 1987);Corpus inscriptionum Elamicarum, hg. v. F. W. König (1925, Nachdr. 1975);B. Hrozný: Les inscriptions hittites hieroglyphiques, 3 Bde. (Leipzig 1933-37);J. B. Frey: Corpus inscriptionum Judaicarum (Rom 1936 ff.);Monumenta epigraphica christiana, hg. v. A. Silvagni, 4 Bde. in 7 Tlen. (Rom 1943);Corpus inscriptionum Regni Bosporani, hg. v. V. V. Struve (Moskau 1965);M. Guarducci: Epigrafia Greca, 4 Bde. (Rom 1967-78);W. Koch: Literaturbericht zur mittelalterl. u. neuzeitl. Epigraphik, 2 Bde. (1987-94);Ernst Meyer: Einf. in die lat. Epigraphik (31991);R. M. Kloos: Einf. in die Epigraphik des MA. u. der frühen Neuzeit (21992);* * *
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Universal-Lexikon. 2012.